Von Digital Immigrants über Millennials bis zur Gen Z: Jede Generation hat ihre eigenen Vorbilder, die prägen, was wir denken, fühlen, kaufen. Doch Social Media hat die Mechanismen verändert. Social-Media-Manager:innen stehen vor der Herausforderung, Vorbilder neu zu bewerten. Wer ist heute ein Vorbild – und warum?
Stephan Fehkse zeigt im Gastbeitrag wie Marken diese Vorbilder sinnvoll in ihre Kommunikation einbinden können, ohne auf Authentizität zu verzichten?
Der Paradigmenwechsel von Vorbildern durch Social Media
Ja, Vorbilder prägen Generationen. Doch was bedeutet das in der heutigen Welt, in der Social Media der zentrale Ort für Information und Identitätsbildung geworden ist? Die Art, wie wir Vorbilder definieren, hat sich radikal verändert. Waren es früher oft unerreichbare Persönlichkeiten wie Hollywoodstars, Sportler:innen oder CEOs, sind es heute vor allem Creators und Influencer:innen, die in sozialen Medien Millionen Menschen erreichen. Die früheren Vorbilder waren unnahbare Autoritäten, egal ob Steffi Graf, Angelina Jolie, Barack Obama oder Steve Jobs.
Sie wurden für ihre außergewöhnlichen Leistungen, ihre Exklusivität oder ihre Ästhetik verehrt. In der Ära des linearen Fernsehens und Printjournalismus war der Zugang zu diesen Ikonen stark gefiltert, kuratiert – und hierarchisch.
Heute stehen Creators auf Social Media im Mittelpunkt der Vorbild-Debatte. Und sie müssen nicht mehr perfekt oder unantastbar sein. Im Gegenteil: ihre Nahbarkeit, Direktheit und das Gefühl, Teil ihres Alltags zu sein, sind die entscheidenden Faktoren. Es reicht nicht mehr, bewundert zu werden. Wer heute als Vorbild funktioniert, muss relatable sein, spricht offen über Scheitern oder mentale Gesundheit.
Plattformen wie TikTok, Instagram, LinkedIn oder YouTube haben sich von bloßen Kommunikationskanälen weiterentwickelt und sind die dominierenden Räume für Meinungsbildung, Identitätsfindung und Lebensrealität, insbesondere für junge Zielgruppen. Während Warren Buffett für geduldige Investmentstrategien steht, setzt sich Natascha Wegelin aka “madamemoneypenny” für die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen ein: nahbar, humorvoll und empowernd.

Das betrifft nicht nur alltägliche Themen, sondern auch zentrale Fragen wie: Wer inspiriert mich? Wem glaube ich? Und wem folge ich (im doppelten Sinne)? Vorbilder beeinflussen über Social Media unsere Wahrnehmung von Erfolg, Lifestyle, gesellschaftlichen Normen, aber auch Kaufentscheidungen. Für Social Media Manager:innen bedeutet das: Die Identifikationslinie verläuft nicht mehr nur entlang von Prominenz, sondern entlang von geteilten Lebensrealitäten.
Die zentralen Treiber dieses Wandels sind ganz klar das veränderte Medienkonsumverhalten. Gerade junge Menschen lernen nicht mehr primär durch klassische Bildungskanäle, sondern durch Social-Media-Content. Das bringt ganz eigene Vor- und Nachteile mit sich. Während Lehrer:innen zunehmend mit Autoritätsverlust kämpfen, haben Influencer:innen einen anderen Zugang, die junge Generation zu erreichen und schwierige Themen schnell zu übermitteln.
Doch genau das birgt auch Risiken. Die Aufmerksamkeitsspanne für komplexe Inhalte nimmt ab und Informationen werden oftmals aus dem Kontext gerissen oder nicht vollständig erklärt und eingeordnet. Und die Sorge bleibt, dass Jugendliche den „falschen Vorbildern“ nacheifern. Legitimierung entsteht auf Social Media oftmals durch Follower, nicht durch Kompetenz.
Plattformabhängige Held:innen: Jede Bühne hat eigene Regeln
Ein zentrales Learning: Wer als Vorbild funktioniert, hängt stark von der Plattform ab und nicht jede Plattform feiert die gleichen Held:innen. Je nach Plattform verändern sich die Anforderungen an Vorbilder fundamental, denn jede Community bringt ihre eigenen Erwartungen, Erfolgsfaktoren und Zielgruppenlogiken. TikTok, LinkedIn, Instagram und YouTube haben ihre eigenen Regeln – und entscheiden mit, welche Persönlichkeiten als Vorbilder funktionieren und welche nicht.
TikTok: Echtzeit, Emotion, Entertainment
Die Plattform belohnt Tempo, Emotionalität und Entertainment. Vorbilder hier müssen anecken, überraschen oder durch Storytelling überzeugen. Inhalte, die polarisieren oder berühren, haben die größte Chance viral zu gehen. Besonders beliebt sind auf TikTok Creator:innen, die auf Trends aufspringen, persönliche Geschichten erzählen oder komplexe Themen spielerisch erklären. Wer zu rational auftritt, fällt durchs Raster.
Was hier funktioniert: Kurzformate, Spontanität, Improvisation, persönliche Einblicke und emotionales Storytelling
Was eher scheitert: langatmige Inhalte, starre Experten-Formate, Perfektionismus ohne Persönlichkeit
Praxis-Tipp: Werbebotschaften müssen in Storytelling, Trends und Formate eingebettet werden, um Relevanz zu erzeugen. Authentizität schlägt Produktion – lieber mit einem gut erzählten Point-of-View im Selfie-Modus als mit glattproduzierten Image-Clips.
LinkedIn: Expertise, Haltung, Konsistenz
LinkedIn dagegen verlangt Professionalität, Expertise und Thought Leadership. Nahbarkeit ist zwar kein Nachteil, aber fachliche Autorität, strategische Denkanstöße und klar positionierte Inhalte relevanter. Vorbilder sind Thought Leader, Branchenexpert:innen oder Unternehmer:innen, die Einblicke in Prozesse, Leadership oder Transformation geben.
Was hier funktioniert: klarer Standpunkt, strukturiertes Wissen, Konsistenz
Was eher scheitert: oberflächliche Inhalte, unreflektierte Selbstvermarktung
Praxis-Tipp: Vertrauen wird durch Kontinuität, Substanz und Community-Dialog aufgebaut. Markenstimmen müssen strategisch als „Themenführer:innen“ etabliert werden.
Instagram: Ästhetik, Lifestyle, Everyday Inspiration
Instagram lebt von visuellem Storytelling, Emotionalität und wiedererkennbarer Ästhetik. Vorbilder hier sind oft Curated Selfs, also Menschen, die eine konsistente, inspirierende Identität pflegen. Reels und Stories haben Feedposts längst abgelöst, aber der visuelle Anspruch bleibt.
Was hier funktioniert: harmonische Bildsprache, persönliches Branding, informativer oder emotionaler Mehrwert, Einblicke hinter die Kulissen, Alltagsmomente, die relateable sind.
Was eher scheitert: reine Produktwerbung ohne Bezug zur Zielgruppe, austauschbare Ästhetik ohne Personality, Überinszenierung ohne Nahbarkeit
Praxis-Tipp: Wer auf Instagram sichtbar bleiben will, muss den Spagat zwischen Inspiration und Authentizität meistern – ohne sich dabei im Design zu verlieren.
YouTube: Tiefe, Expertise, Content-Kompetenz
YouTube ist die Plattform für langlebige Inhalte, strukturierte Wissensvermittlung und fundierte Argumentation. Vorbilder überzeugen durch inhaltliche Tiefe, Formatstärke und einen strategischen Themenfokus. Auf YouTube überzeugt man mit Ausdauer und Substanz.
Was hier funktioniert: Tutorials, Deep Dives, Reportagen, langfristiger Wissenstransfer statt kurzfristiger Hype, Authentizität in Kombination mit Expertise, Serienlogik und strukturierte Playlists
Was eher scheitert: unstrukturierte Inhalte ohne roten Faden, reine Werbung oder oberflächliche Produktempfehlungen, inkonsistente Veröffentlichungsrhythmen
Praxis-Tipp: Besonders für erklärungsbedürftige Themen ist YouTube ein wertvoller Kanal – allerdings mit höherem Produktionsaufwand und längerer Aufbauphase.
Für Social Media Manager:innen heißt das: Wer nach Vorbildern für Kampagnen oder als Kollaborationspartner:innen sucht, muss Plattform-Kompetenz mitdenken. Ein „One fits all“-Ansatz funktioniert schon lange nicht mehr.
Der Algorithmus als Gatekeeper? Der Code entscheidet mit
Die vielleicht entscheidendste Veränderung: Wer heute Vorbild wird, entscheidet nicht (nur) die Gesellschaft, sondern auch der Algorithmus. Denn auch wenn der Zugang zur Öffentlichkeit heute so niedrigschwellig wie noch nie ist – er ist gleichzeitig so selektiv wie noch nie. Algorithmen sind keine neutralen Tools, sondern kuratieren unsere Wahrnehmung und machen Sichtbarkeit zum undemokratischen Prozess.
Nicht Kompetenz, sondern Klickwahrscheinlichkeit entscheidet, wer Reichweite bekommt, was massive Auswirkungen auf die Vorbildfunktion hat. Wer nicht im Feed auftaucht, existiert für viele Menschen schlichtweg nicht und wer sichtbar ist, gilt als glaubwürdig. Dadurch entsteht eine neue Form von „algorithmischer Sichtbarkeit“, die nicht zwingend an Kompetenz, sondern oft an Clickability gebunden ist.
Ein Negativbeispiel: Der deutsche Influencer und Immobilieninvestor Tomislav „Tommy“ Primorac, bekannt als Immo Tommy, konnten bis Ende 2024 durch geschickte Content-Strategien auf TikTok Millionen Follower aufbauen – obwohl die fachliche Grundlage fragwürdig war. Der anschließende Skandal offenbarte nicht nur seine fragwürdige Finanzberatung, sondern auch die Schwäche hinter dem Algorithmus: Wer den Algorithmus beherrscht, wird sichtbar. Wer sich verweigert, bleibt unsichtbar, egal wie gut die Inhalte sind.
Für Social Media Manager:innen bedeutet das eine noch sorgfältigere Auswahl von Markenbotschafter:innen oder Creator-Partner:innen denn je. KPIs wie Reichweite sind ebenso wenig alleinige Qualitätsmerkmale wie die fachliche Kompatibilität. Hinzu kommen Content-Verständnis, Plattform-Fit und Wertehaltung, ganz abgesehen von Strategien, um Sichtbarkeit nicht mit Wahrhaftigkeit zu verwechseln. Besonders bei sensiblen Themen wie Finance, Gesundheit oder Politik ist eine kritische Selektion essenziell. Viral ist nicht gleich wertvoll.
Zwischen Hype und Haltung navigieren
Die Vorbilder von heute sind nicht nur Leitfiguren – sie sind auch Marker für Werte, Lebensmodelle und Konsumhaltungen. Wer sie beobachtet, versteht besser, was Zielgruppen bewegt. Und wer Vorbilder auf Social Media verstehen und für sich und seine Marke nutzen will, muss Plattformlogiken, algorithmische Dynamiken und gesellschaftliche Trends zusammen denken. Die Vorbildfunktion hat sich vom distanzierten Role Model zur nahbaren Bezugsperson gewandelt – mit Chancen und Risiken.
Für Social Media Manager:innen ergibt sich daraus ein strategischer Imperativ: Sie kuratieren nicht nur Inhalte, sondern beeinflussen ebenfalls, welche Vorbilder ihre Communitys prägen. Dabei braucht es mehr als Reichweite. Es braucht Haltung, Kontext und ein klares Verständnis für die Zielgruppe. Wer 2025 noch mit den Vorbildern von 2015 arbeitet, verliert nicht nur Relevanz – sondern auch Anschluss an die Lebensrealität seiner Zielgruppen.
Checkliste für die Praxis
Zusammengefasst, die wichtigsten Hinweise für Social Media Manager:innen als Checkliste in der Übersicht:
- Hat die Person relevante inhaltliche Expertise?
- Passt die Tonalität zur Marke?
- Wie reagiert die Community – Applaus oder Kritik?
- Gibt es Kontroversen in der Vergangenheit?
- Wird der Content auf anderen Plattformen adaptiert oder nur kopiert?
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag. Es besteht keine bezahlte Kooperation